Jakarta, die ehemalige Hauptstadt Indonesiens, versinkt langsam im Meer. Deswegen findet ein Umzug nach Borneo statt, mitten in den Dschungel. An diesem Samstag ist die offizielle Eröffnungsfeier der neuen Smart-City. Ob der milliardenschwere Umzug die Lage wirklich verbessert, bleibt fraglich.
Jakarta ist mit elf Millionen Einwohnern und Einwohnerinnen eine Megacity mit ihren typischen Problemen. Es gibt starke Luftverschmutzung, schlechte Infrastruktur, viel Müll und ein nicht ausreichendes Kanalisationssystem. Luxushotels und Hochhäuser stehen Seite an Seite mit Barackendörfern, oftmals auf Pfählen oder Flößen gebaut, um sich vor dem Wasser zu schützen.
Denn das wohl größte Problem der Stadt sind die regelmäßigen starken Überschwemmungen. Jährlich verlieren Dutzende Menschen in den Fluten ihr Leben. Mitverantwortlich sind der steigende Meeresspiegel und die sich häufenden Extremwetterereignisse. Um die Gefahr von Überschwemmungen zu reduzieren, hat die Regierung zwei Projekte initiiert: eine gigantische Mauer vor der Lagune Jakartas und den Umzug der Hauptstadt nach Borneo.
Fliegende Taxis
Über schmale Straßen durch Palmölplantagen und winzige Dörfer immer tiefer im Dschungel von Borneo sind die Anfänge des Umzugs erkennbar. Zu sehen ist eine riesige, inzwischen bewohnte Baustelle: der Beginn Nusantaras, der künftigen Hauptstadt Indonesiens.
In den grünen Urwald kommt eine Stadt, die ebenso grün sein soll. Geplant ist eine Smart-City, betrieben mit erneuerbarer Energie, mit vielen Radwegen und öffentlichen Verkehrsmitteln. Es soll intelligente Abwassersysteme und saubere Luft geben. Gerade gab es erfolgreiche Testflüge der elektrobetriebenen fliegenden Taxis. Alles, was in Jakarta schlecht läuft, soll in Nusantara besser laufen. Ein Vorzeigeprojekt und der Traum des noch bis Oktober eingesetzten Präsidenten Joko Widodo, der inzwischen dort wohnt.
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Widodo hat sich während seiner Amtszeit stark für den Umzug eingesetzt und eine Vorstellung zur Realität werden lassen. Sein Nachfolger Prabowo Subianto, der in der Vergangenheit wegen Menschenrechtsverletzungen in die Kritik geraten ist, will das Projekt fortsetzen. Widodo hatte ihn deswegen sogar im Wahlkampf unterstützt und seinen Sohn als Vizepräsidenten einsetzen lassen - ein kleiner Skandal, da amtierende Regierungsmitglieder sich nicht in die zukünftige Politik einmischen sollen.
Nicht alle dürfen mit
Doch wie soll man eine Bevölkerung von elf Millionen Menschen einfach umsiedeln? Die Antwort lautet: gar nicht. Nach Nusantara soll nur der Regierungsapparat mit knapp zwei Millionen Menschen ziehen. Als Erstes dürfen Beamte, Polizisten und Mitglieder des Militärs die von Jakarta 1300 Kilometer entfernt liegende Stadt bewohnen.
Das heißt, die Herausforderungen für Jakarta und seine Bewohnerinnen und Bewohner bleiben bestehen, für sie ändert sich wenig. Hinzu kommt, dass die auf moorigem Grund gebaute Metropole sich seit 1950 verzehnfacht hat: Aus circa einer Million Einwohnerinnen und Einwohner wurden über zehn Millionen. Mit mehr Menschen kamen mehr Häuser, die Bebauung nahm zu.
Die Wasserinfrastruktur hingegen hat sich kaum verändert: Sie ist so unzureichend, dass 35 Prozent der Bevölkerung darauf angewiesen sind, illegal Grundwasser abzuzapfen, bemängelt Eka Permanasari den Zustand gegenüber ntv.de. Sie ist Professorin an der Monash-Universität in Jakarta und hat dort mehrere Projekte im Auftrag der Stadt geleitet, darunter die "Giant Sea Wall" und verschiedene Gemeinschaftsprojekte.
Jakartas Lage verschärft die Situation
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Die Kombination aus steigendem Gewicht und sich leerenden Hohlräumen im sumpfigen Boden ist gefährlich: Die Stadt sackt ab und mit ihr die Bevölkerung. Im Norden sinkt sie bis zu 25 Zentimeter pro Jahr. Zum Vergleich: Venedig hat mit zwei Millimetern zu kämpfen. Laut eines kürzlich herausgebrachten Forschungsbriefes macht das Jakarta zu einer der am schnellsten sinkenden Städte der Welt.
Zudem ist fast die ganze Stadt versiegelt: Überall sind Beton und Häuser. Nur knapp zehn Prozent der Stadt sind grün, berichtet Permanasari. Heftige Regenfälle können kaum noch abfließen. Die entstehenden Fluten sind verheerend, 2020 sind mehr als 50 Menschen deswegen gestorben, Tausende verloren ihren Wohnsitz.
Die Lage Jakartas verschärft die Situation noch: Die Megacity liegt direkt an der Küste in einem Flussdelta - mehr als 13 Flüsse durchqueren die Metropolregion und fließen dort ins Meer. Aufgrund des Absinkens der Stadt fließen die Flüsse immer schlechter ab, das Wasser staut sich und tritt über die Ufer. Inzwischen muss es immer häufiger abgepumpt werden.
Besonders hart trifft es die Ärmsten
Alle Menschen sind betroffen, doch besonders hart trifft es die Ärmsten. Sie leben an Abwasserkanälen, dreckigen Flüssen oder der schnell überschwemmten Lagune: an Orten, wo Wohnen so schwierig ist, dass niemand dafür zahlen würde. Permanasari berichtet von einem Meeresspiegel, der höher ist als das Land dahinter und lediglich durch eine Mauer zurückgehalten wird. Jedes Jahr wird die Mauer erhöht.
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Das andere Projekt der Regierung soll die in Jakarta bleibenden Bewohner vor den Fluten schützen: Eine dreiteilige Mauer in Form des königlichen Vogels Garuda, dem heiligen Symbol Indonesiens. Die "Giant Sea Wall" soll sowohl die Funktion eines Dammes als auch eines Wasserauffangbeckens und die einer Wohn- und Freizeitfläche einnehmen. Permanasari ist jedoch skeptisch, ob der Ansatz wirklich umgesetzt wird. Das Projekt, das 2010 startete, wurde ständig pausiert, berichtet sie. Kritiker bemängelten, dass es zu teuer und schlecht für die Umwelt sei und das eigentliche Problem nicht adressiere, so Permanasari weiter. Sie selbst ist inzwischen nicht mehr im Projekt involviert, aber hat den Eindruck, als werde sich eher auf die neue Hauptstadt konzentriert.
Kosten über 38 Milliarden Euro
Doch auch an der neuen Hauptstadt gibt es Kritik: Unsummen an Geld werden ausgeschüttet, umgerechnet 38 Milliarden Euro sind dafür geplant - ob es dabei bleibt, ist unklar. Dabei sollen 20 Prozent des Geldes von der Regierung kommen, teilweise aus Steuergeldern. Die restlichen 80 Prozent werden laut Plan von Privatinvestoren übernommen - und genau hier liegt das Problem. Da die Baustelle noch nicht ansatzweise so weit ist wie geplant, entscheiden sich die ersten Investoren bereits gegen das Projekt.
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Ein weiterer Kritikpunkt ist die Vertreibung der dort ansässig gewesenen Bevölkerung. Viele Menschen, die seit Generationen dort lebten, mussten gehen, ohne eine angemessene Entschädigung zu erhalten. Auch die Folgen für den Urwald sind nicht abzusehen, wenn sich plötzlich knapp zwei Millionen Menschen dort ansiedeln, mahnten Umweltschützer. Zumindest in der Planung ist die Renaturierung des zum Teil aus Monokulturen bestehenden Waldes und der Schutz der einheimischen Arten vorgesehen.
Nusantara leiht sich eine Identität
Neben den ökologischen und finanziellen Hürden findet Martinez Rafael den Umzug aus soziokultureller Perspektive schwierig. Er ist Spezialist für kulturelle Praktiken in südostasiatischen Städten am Lee-Kuan-Yew-Zentrum für innovative Städte der technischen Universität Singapurs. "Jakarta hat Jahrzehnte gebraucht, um sich eine Identität aufzubauen. Diese Identität will Nusantara sich jetzt leihen, aber das wird nicht funktionieren", sagt er zu ntv.de. Er sieht den Umzug als eher symbolisch an, Indonesien wolle einen neuen Schrein.
An diesem Samstag wird die Modellstadt offiziell eröffnet. Geplant ist eine riesige Zeremonie in der neuen Hauptstadt. Aber auch in Jakarta findet ein Teil der offiziellen Feier statt. Ob der Umzug an den Zuständen in Jakarta etwas ändern wird, bleibt fraglich. Jakarta-Expertin Permanasari glaubt, dass keines der Probleme in Jakarta gelöst wird. "Die Stadt sinkt weiter und es wird kein wirklicher Versuch seitens der Politik unternommen, an diesem Zustand etwas zu ändern." Es scheint eher so, als ob eine bestimmte Schicht das sinkende Schiff verlässt, während die Ärmeren zurückbleiben.